Mittwoch, 2. März 2011

Afghanistan: Krieg gegen Kinder, aber die westlichen Medien schweigen

Neuer Kriegserklärer (jungeWelt)
Dieser Junge überlebte das NATO-Bombardement in der afghanischen Provinz Kunar am 20. Februar 2011
Foto: Reuters

Die Kontinuität bleibt gewahrt, der Bendlerblock beim Adel: Innenressortchef Thomas de Maizière (CDU) wird Nachfolger von Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Als 16. Verteidigungsminister hat der dem hugenottischen Landadel entstammende Unionspolitiker künftig den Deutschen den Krieg in Afghanistan zu erklären, Aufträge an Waffenschmieden zu unterzeichnen und den Truppen an der Front regelmäßig Besuch abzustatten. Um den Parteienproporz im Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu wahren, erhält die CSU im Gegenzug das Innenministerium. Der bisherige CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich soll dort Hausherr werden und – wie sein Vorgänger – Terroralarm schlagend Kriegslegitimationen liefern.
Die Rechtfertigung des Krieges am Hindukusch wird derweil immer schwieriger. Erst am Dienstag haben NATO-Soldaten in der Provinz Kunar im Osten Afghanistans neun Kinder im Alter zwischen sieben und neun Jahren getötet, als sie Holz sammelten. Nach Angaben des örtlichen Polizeichefs wurden sie Opfer eines Luftangriffs. Ein weiteres Kind sei bei der Attacke verletzt worden. Die Besatzungstruppen erklärten zunächst, der Einsatz sei eine Reaktion auf Raketenbeschuß durch Aufständische gewesen. Von zivilen Toten wisse man nicht, man werde aber eine Untersuchung einleiten. ARD-Hörfunkkorrespondentin Sandra Petersmann meldete dazu: »Es steht Aussage gegen Aussage.« Am Mittwoch nachmittag vollzog der Kommandeur der NATO in Afghanistan, US-General David Petraeus, eine Kehrtwende und entschuldigte sich für die Tötung der Kinder. Er habe angeordnet, alle Besatzungen von Kampfhubschraubern erneut anzuweisen, zivile Opfer auf »das absolute Minimum« zu beschränken.
Vor kaum zwei Wochen waren in Kunar bei einer mehrtägigen NATO-Offensive und Luftangriffen nach Angaben lokaler Behörden 65 Zivilisten getötet worden, vor allem Frauen und Kinder. Auch damals hatte die NATO die Berichte zunächst zurückgewiesen. Ein vom afghanischen Präsidenten Hamid Karsai aus Kabul entsandtes Untersuchungsteam bestätigte mittlerweile die Angaben.
Angesichts der neuerlichen Schreckensnachricht aus der Provinz Kunar warf Karsai den NATO-Truppen die »tägliche Tötung« von Zivilisten vor. Die internationalen Truppen würden »enorme Probleme« bekommen, sollten sie bei den Einsätzen nicht umsichtiger vorgehen, zitierte AFP den von der NATO abhängigen afghanischen Staatschef am Mittwoch in Kabul. Karsai sagte, die getöteten Kinder hätten im Distrikt Darah-Je Petsch in der Provinz Kunar Feuerholz gesammelt, als NATO-Militärs sie attackiert hätten. »Ist das der Krieg gegen den Terrorismus und für die Stabilisierung Afghanistans?«
Fragen, die fortan Thomas de Maizière beantworten muß – so sie in den hiesigen Medien gestellt werden. Die Meldung der Bombardierung von Kindern beim Holzsammeln wurde allerdings am Dienstag von den wenigsten Agenturen verbreitet. Wohlmeinend kann man sagen: Sie waren zu sehr auf die Scharmützel um den fränkischen Freiherrn fokussiert und hatten das reale Kriegsgeschehen aus den Augen verloren. Zur Erinnerung: Allein im vergangenen Jahr, in der Amtszeit des vielgelobten Karl-Theodor zu Guttenberg also, wurden nach Angaben der Organisation Afghan Rights Monitor mehr als 2400 Zivilisten bei Kriegsereignissen getötet – so viele wie noch nie seit 2001.

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